Mrz 09 2021
Abgelaufen!
18:00 - 19:30
Decolonize Erfurt

Im Dekolonial-Salon: Deutsche Sklavereikritik um 1820

Gegen Ende seines Lebens hat sich Joachim Nettelbeck (1738 – 1824) von seiner Tätigkeit als Steuermann auf niederländischen Versklavungsschiffen distanziert. In seiner Autobiographie schreibt er dazu: „Vor 50 Jahren war und galt dieser böse Menschenhandel als ein Gewerbe, wie andre, ohne daß man viel über seine Recht- oder Unrechtmäßigkeit grübelte. Barbarische Grausamkeit gegen die eingekaufte Menschen-Ladung war nicht nothwendiger Weise damit verbunden und fand auch wohl nur in einzelnen Fällen statt; auch habe ich, meines Theils, nie dazu gerathen oder geholfen.“ Und am Ende des Buchs heißt es: „Wann will und wird bei uns der ernstliche Wille erwachen, den afrikanischen Raubstaaten ihr schändliches Gewerbe zu legen, damit dem friedsamen Schiffer, der die südeuropäischen Meere unter Angst und Schrecken befährt, keine Sklavenfessel mehr drohen? Wenn ich das noch heute oder morgen verkündigen höre, dann will ich mit Freuden mein lebenssattes Haupt zur Ruhe niederlegen!“

Wie sind diese Äußerungen zu bewerten? Ist Nettelbecks späte Distanzierung vom Versklavungshandel unter den damaligen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen „bemerkenswert“, wie der Erfurter Oberbürgermeister Andreas Bausewein jüngst betont hat? Gab es Rechtfertigungszwänge, auf die Nettelbeck reagiert? Was war der Stand der sklavereikritischen Debatte zu seinen Lebzeiten? Und worauf läuft Nettelbecks letzter Wunsch hinaus, der Sklaverei zu einem Verbrechen der anderen („afrikanische Raubstaaten“) erklärt?

Nach Antworten auf diese und andere Fragen suchen wir mit Dr. Sarah Lentz, die 2020 eine wegweisende Studie zum Thema vorgelegt hat: „>Wer helfen kann, der helfe!< Deutsche SklavereigegnerInnen und die atlantische Abolitionsbewegung, 1780 – 1860“. Sarah Lentz ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Geschichtswissenschaft der Universität Bremen.